Krafttraining
Mit Krafttraining gegen Stress
Interview: Tania Schneider mit Professor Markus Gerber, Universität Basel, Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit, Abteilung Sport und psychische Gesundheit
Professor Gerber, Sie gehen davon aus, dass körperliche Aktivität schon bei der Stressentstehung helfen kann. Können Sie ein Beispiel nennen?
Wer schlecht schläft, ist am nächsten Tag häufig gestresst. Und wenn Sie gestresst sind, ist es in der folgenden Nacht oft schwieriger, gut zu schlafen. Wir konnten in vielen Studien nachweisen, dass sich mit sehr kurzen Trainingsprogrammen sehr positive Effekte auf die subjektiv erlebte Schlafqualität und auf objektive Schlafparameter erzielen lassen. Wenn Sie regelmäßig körperlich aktiv sind, sind Sie länger in der Tiefschlafphase. All das kann sich positiv auf das Stressniveau auswirken.
Kann ich mit Krafttraining meine persönlichen Ressourcen in der Stressbewältigung stärken?
Wenn Sie an einer Maschine bis zur lokalen Erschöpfung trainieren, müssen Sie sich überwinden, durchbeißen und kämpfen. Das unterstützt Ihre Selbstwirksamkeit. Dabei lernen Sie: „Ich schaffe das!“ Und dieser Mechanismus kann helfen, wenn Sie beispielsweise im psychosozialen Bereich mit einer Stressreaktion konfrontiert werden.
Sie sagen, dass körperliche Aktivität im Prozess der Stressbewältigung hilft, meine Reaktionen darauf zu verringern.
Ja, wir gehen hier von der sogenannten Cross-Stressor-Adaptationshypothese aus. Die besagt kurz gesagt: Wenn Sie Ihren Körper regelmäßig einem ausreichend intensiven Stressreiz aussetzen, führt das längerfristig auch bei psychosozialen Belastungsreizen zu Anpassungseffekten. Ein solcher Cross-over-Effekt kann sich sowohl im Sinne einer Gewöhnung und abgemilderten Reaktion (Habituation) als auch im Sinne einer Sensibilisierung und verstärkten Reaktion (Sensitization) äußern. Beides wirkt stresspuffernd und hilft Ihrem Körper, besser mit Belastungen zurecht zu kommen.
Wie sieht es mit gesundheitsbezogenen Effekten aus?
Körperliche Aktivität hat ganz klar eine Gesundheitsschutzwirkung. Diese Effekte sind nicht nur bei körperlichen, sondern auch bei stressbezogenen Erkrankungen vorhanden, etwa bei depressiven Störungen. Viele Menschen denken, dass hier hauptsächlich Ausdauertraining hilft. Wir konnten aber nachweisen, dass Kraft- und Ausdauertraining eine vergleichbare Wirkung haben – bzw. Krafttraining sogar leicht im Vorteil ist. Gleiches gilt zu einem großen Maß auch für Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, etc.
Kann körperliche Aktivität auch kontraproduktiv sein?
Das ist eine häufig vertretene Annahme. So hören wir z. B. im Zusammenhang mit Burnout, dass es besser wäre, diese ausgebrannten Personen ruhigzustellen, um die Restenergie nicht durch körperliches Training abzuschöpfen. Wir konnten aber nachweisen, dass ein Training schon nach drei Monaten sehr positive Effekte hat. Körperliche Aktivität kann gerade bei Personen mit hohem Stresszustand sehr positive Schutzwirkungen entfalten.
Wie lange hält diese Schutzwirkung an?
Wir wissen, dass es ein sogenanntes „post-exercise window“ gibt: Nach dem Training sind Sie vier Stunden relaxter und Ihr Körper reagiert beispielsweise mit einer geringeren Kortisol-Ausschüttung. Dieses Wissen gibt Ihnen die Möglichkeit, Ihr Training sinnvoll zu timen. Ist Ihre Stressbelastung vormittags am höchsten, macht eine Trainingseinheit am Morgen Sinn. Ein 30-minütiges Training wirkt sich übrigens günstig auf Ihre exekutiven Funktionen aus, d. h. Sie können konstruktiver mit Stressreizen umgehen und leichter Lösungen entwickeln. Neben diesem Akuteffekt konnten wir auch längerfristige Effekte auf die exekutiven Funktionen nachweisen. Und das Beste daran: Sie haben vom ersten Training an einen Benefit – zumindest was das mentale Wohlbefinden und die geistige Leistungsfähigkeit anbelangt.